Rees Gwerder war ein Meister des Stegreif-Spiels
von Cyrill Schläpfer für 'Tages Anzeiger' vom 5. Januar 1998
Der bekannte Muotathaler Schwyzerörgeli-Spieler Rees Gwerder ist in der Nacht auf Sonntag 86jährig gestorben.
Rees Gwerder war einer der wichtigsten Vertreter der urchig-traditionellen Schweizer Volksmusik. Mit ihm stirbt vermutlich der letzte Musikant der Stegreif-Generation. Noten und Musiktheorie lehnte Gwerder ab. Er lernte nie Notenlesen und spielte ausschliesslich nach dem Gehör.
Melodien im Kopf Mit fünf Jahren begann Gwerder die ersten Stücke auf dem Eichhorn-Örgeli seines Vaters zu spielen. Im Lauf seines Lebens hat der Musikant gegen 300 alte Melodien aus seiner Muotathaler Heimat in seinem Kopf gespeichert. Am liebsten hörte er seine eigenen Aufnahmen, waren sie doch Ausdruck seiner Identität - und warum sollte er die je verändern? Dank Gwerder sind viele alte Tänze in ihrer ursprünglichen Ausdrucksweise überliefert. Nachdem Gwerder jahrzehntelang vor allem in seiner engeren Heimat aufgespielt hatte, wurde er in den sechziger Jahren von Thomas Marthaler und dem Toningenieur Walter A. Wettler auch für die Schallplatte entdeckt. Durch Radio- und Fernsehauftritte wurde er danach auch einem breiten Publikum bekannt. Obwohl Rees Gwerder mir als einem "Schüler" nie etwas gezeigt oder erklärt hätte, konnte ich - gleich seinem Beispiel - durch genaues Hinhören unendlich viel von ihm lernen. Er war der grosse Meister eines musikalischen Instinktes, der durch keine Theorie oder Notation ausgedrückt werden kann. Rees' eigenartig urtümliche Spielweise und sein markanter Takt haben präzis mit seiner Persönlichkeit übereingestimmt. Rees Gwerder war eins mit seinem Schwyzerörgeli.
Das Örgeli in den Händen, die Krumme im Mund: Rees Gwerder am 31. Juli 1996, seinem 85. Geburtstag. |