Die Musik der grasenden Kühe

Von Pirmin Bossart,
für 'Neue Luzerner Zeitung' 9. Januar 2007,

Der Luzerner Musiker Cyrill Schläpfer dokumentiert eine verschwindende Welt: Von vier neuen CDs ertönt die alte Musik der Glocken von Kühen, Schafen und Geissen.

Es läutet und bimmelt in allen Variationen, munter wie ein plätscherndes Bächlein, in ständig sich verändernden Rinnsalen und Wirbeln. Manchmal kommt Erregung auf und das Gebimmel wird hektisch, dann wieder sinkt der Sound in die friedliche Totale eines entrückten Bergtals. Man hört die Rhythmen der Natur, die tausend Variationen des Moments. Man kann auch die repetitive Ästhetik der Minimal-Music hören, das Plastische der Musique Concrète, die Energie eines Gamelan-Orchesters aus Java. Aber eigentlich hört man, wie Kühe grasen und Schafe und Geissen weiden.

Eigensinnig und stur

In Sachen Eigensinnigkeit und Sturheit steht Cyrill Schläpfer seinen Geissen und Schafen nicht viel nach. Wer käme sonst auf die Idee, Hunderte von Stunden mit dem Geläute von Geiss- und Schafherden und Kühen aufzunehmen und das auf CDs zu pressen (siehe Kasten)? Schläpfer macht das aus einer inneren Leidenschaft heraus, über die er nicht gross Worte verlieren will. „Es geht mir nicht um eine pastorale Romantisierung“, sagt er aber und reibt sich die Augen. Sundenlang sass er wieder im Studio, arbeitete am Feinschliff von Aufnahmen für irgendwelche monumentale Projekte.

 Vor Jahren hat er den Film „Ur-Musig“ produziert. Schon lange ist er an einem Buch über die Rhythmen und Perkussionsinstrumente von Kuba. Eine  4-CD-Box mit Aufnahmen von Dampfschiffen und Geräuschen rund um den Vierwaldstättersee erscheint im Mai. Und da ist diese rumänische Sängerin. Die alten Aufnahmen der Handörgeli-Legende Rees Gwerder. Das Mexico-Projekt. Es hat kein Ende.

Skepsis der Bauern

Einige Bauern seien ihm damals recht skeptisch begegnet: „Warum nimmst du etwas, das es gibt, auf Tonband auf“,  hätten sie gesagt, „ kann man denn das Geld noch dümmer verschwenden?“  Heute würden sie anders reden. „Jetzt realisieren sie, dass das „Glüüt“ eine Welt beschreibt, die immer mehr am Verschwinden ist.“  Schläpfer nennt den Strukturwandel und die Rationalisierung in der Landwirtschaft,  die dem „Glüüt“ die Bedeutung nehmen, aber auch die Reklamationen aus der Bevölkerung. „Das geht bis zu den Gerichtsurteilen, die das „Glüüt“ unterbinden.“

Ist das Herdengeläut Musik? Ja, sagt Schläpfer. „Eine archaische Form von Musik.“ Anders als Naturgeräusche wie Tierstimmen oder das Rauschen eines Waldes sei das „Glüüt“ bereits ein Ausdruck von Kultur und deshalb mehr Musik als Geräusch. „Im „Glüüt“ sind das Wirken und die Gestaltung des Menschen enthalten.  Ich kenne Bauern, die das „Glüüt“ ihres Viehs minutiös zusammengestellt und genau darauf geachtet haben, welcher Glockentyp, welche Grösse und welche Legierung sie verwendeten, um einen bestimmten Gesamtklang der Herde zu erreichen.“

„Glüüt“ und Magie

Die Volkskundlerin Brigitte Bachmann-Geiser bringt in Anlehnung an Leute wie Eduard Renner („Goldener Ring über Uri“) die Ursprünge des „Glüüts“ mit Magie in Verbindung. Für Schläpfer ist das eine nachvollziehbare Auffassung. „Ähnlich wie der Betruf, grenzt auch die Schallreichweite der Schellen und Glocken ein Territorium ein und schützt es gegenüber dem Dunklen und Bedrohlichen, das ausserhalb ist.“ Der Glaube an die Magie ist heute von Elektrozäunen und  Vieh-Versicherungen abgelöst worden. Die prächtige Vielfalt des „Glüüts“, wie es die CDs noch dokumentieren, dürfte in Zukunft eintöniger werden und sich auf alpine Restflächen zurück ziehen.

Was Schläpfer am meisten beschäftigt: „Mit dem Wandel, der vonstatten geht, stirben auch die  Leute mit dieser Mentalität aus. Das ist bedauerlich, denn gerade sie bilden den Gegenpol zum Mainstream.“ Trotzdem verfolge er mit den „Glüüt“-CDs weder didaktische noch kommerzielle Absichten.  „Die CDs sind einfach Ausdruck meiner Wertschätzung gegenüber dieser Kultur.“

Feinster Klang

Für das Bearbeiten und Zusammenfügen der Aufnahmen hat Schläpfer Hunderte von Stunden aufgewendet. Eine aussagekräftige Gestaltung, die eine klare Dramaturgie und Handschrift hat, ist ihm auch beim „Glüüt“ wichtig. Und klanglich setzt er hohe Massstäbe. Die neuen „Glüüt“-Aufnahmen hat er mit exklusiven Klangbearbeitungsgeräten bis zur Perfektion getrieben. Das Resultat ist hörbar: Man erschrickt, wenn einmal plötzlich der Düsenjäger über die Fluh der bimmelnden Schafe hinwegjagt.

Im Februar will Cyrill Schläpfer wieder nach Mexico. Er machte dort Aufnahmen von verlassenen Geisterstädten. Türen, die im Wind knarren. Pferde, die um Mitternacht vorbei traben. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die ersten „Glüüt“-CDs von Cyrill Schläpfer erschienen 1993 und 1995. Die neue Serie von 4 (einzeln erhältlichen) CDs umfasst „s'Geiss-Glüüt“, „s'Schaf Glüüt“, „s'Rätschtal Glüüt“ und „s'Sonnenberg Glüüt“. Die Aufnahmen stammen mehrheitlich aus der Innerschweiz, so aus dem Muotathal (Glattalp, Pragelgebiet, Goldplangg, Rätschtal) von Flühli und Marbach im Entlebuch sowie vom Sonnenberg bei Luzern (Kuhgeläute). Die „Glüüt“-CDs sind in der Reihe TrueTone auf CSR Records erschienen.

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