Die Stimme der Bergwelt
von Judith Wyder für 'Berner Zeitung' vom 2. September 1995
Cyrill Schläpfer: „Bei Rees Gwerder beeindruckte mich seine Art zu musizieren: Keine grosse Installationen, einfach das Örgeli auf den Schoss und loslegen.“ 17. August 1993. In Luzern feiert Cyrill Schläpfers Film „Ur-Musig“ seine glorreiche Premiere. Städter und Bergler, Rechte und Linke sitzen gemeinsam vor der grossen Leinwand und lassen sich von Bildern und Klängen der Bergwelt in Bann ziehen. Just am 1. August 1989 hat Cyrill Schläpfer seine Plattenfirma „CSR Records“ ins Leben gerufen. Zufall? „Ja“, meint der 36jährige Luzerner heute. Am 31. Juli hatte er seinen letzten Arbeitstag beim Plattenmulti EMI, am nächsten Tag zählte er bereits zu den „selbständig Erwerbenden“. Bei EMI ist Schläpfer dem rund 80jährigen Rees Gwerder und seinem Schwyzerörgeli begegnet. Schläpfer: „Nach meinen Ausbildungsjahren als Schlagzeuger und Musikproduzent in Amerika beeindruckte mich bei Rees Gwerder seine Art zu musizieren: Keine grossen Installationen, einfach das Örgeli auf den Schoss und loslegen.“ Und beim Altmeister des Schwyzerörgeli hat er noch mehr gelernt: „Dass man nicht immer miteinander sprechen muss, sondern es machmal auch reicht, zusammen im gleichen Raum Pfeife zu rauchen. Dass es genügt, dass man da ist.“ Später, als er einmal im Sportflugzeug eines Freundes über die Innerschweizer Bergtäler flog, wusste er plötzlich, was er machen wollte: Diese Landschaft, die Leute und ihre Musik da unten, das wollte er in seinem Film porträtieren. So zog er in die Berge, beobachtete, nahm sich die Zeit, die nötig war. Sein Geld verdiente er sich in der vierjährigen Drehzeit mit Taxifahren, Nachtwachen im Asylheim und als Toningenieur. Bei seinen Wanderungen und Reisen lernte Schläpfer immer mehr Volksmusiker, ganze Volksmusikfamilien, kennen. Ein paar waren ihm auch seit seiner Kindheit bekannt. Mit einigen spielte er eine Platte ein: Rees Gwerder, Walter Alder oder Martin Nauer, dem Schwyzerörgeliduo Büchel-Schibig, dem Echo vom Pfannästock und vielen mehr. Die Aufnahmen machte er stets mit seinem DAT (Digital Audio Tape). Und bis heute schloss Schläpfer bei keinem Plattenprojekt einen schriftlichen Vertrag ab. „Ist das Vertrauen einmal da, ist ein Ja ein Ja.“ 1992 kam ihm die Idee mit dem Kuhgeläute: 71 Minuten lang vielstimmiges Geläute einer Viehherde auf freier Weide aufzuzeichnen. Doch „'s Glüüt“ Vol. 1 erregte nicht viel Aufsehen. Trotzdem brachte Schläpfer 1995 das Vol. 2 auf den Markt. Und siehe da: Die akustische Reise durch die Klanglandschaften von neunundzwanzig Alpweiden fiel diesmal bei der Hörerschaft nicht durch. „Keine Ahnung, warum es das erstemal nicht funktioniert und jetzt geklappt hat.“ Weg von der Tradition, hin zu modernen Tönen wagte Schläpfer sich mit Christine Lauterburg: Die Popmusik mit Schweizer Volksmusikelementen entwickelte sich zum Dauerbrenner und verhalf „CSR Records“ zum kommerziell bisher besten Ergebnis mit 20000 verkauften CDs. 17. August 1995: Auf dem Landsgemeindeplatz in Sarnen läuft der Film „Ur-Musig“ open-air. Auch Cyrill Schläpfer ist mit seinen Eltern von Luzern aufs Land gefahren, um beim Freiluftspektakel dabeizusein. Schliesslich feiert der Film heute seinen zweiten Geburtstag. In der Festbeiz gibt's Raclette und Käseschnitten. Die Wolken, die eben noch über dem Glaubenberg hingen, haben sich verzogen. „Die betonierten Strassen, das tut schon weh“, hat Schläpfer vorher noch auf dem Hügel oben gesagt, „ich möchte den Ist-Zustand hier in den Bergen erhalten, obwohl ich nicht gerne Konservator spiele.“ |