«Hertz»: Hymnen an die Eiskönigin

von Martin Frutiger für 'Tages Anzeiger', 14. Mai 1983

 

1978 erlebte die Zürcher Musikszene einen Boorn. Nicht nur die Punk-Gruppen, die überall aus dem Boden schossen, erteilten ihr einen gewaltigen Kick. Es gab in Zürich zu dieser Zeit auch bereits New-Wave-Bands, die mit den traditionellen Rock-Schemen brachen. Dazu gehörten der Action-Künstler Dieter Meier, die sagenhaften Troppo, die Expo und die Hertz. Letztere feierten 1980 mit neuer Schlagzeugerin ein Comeback, spielten zweimal vor vollem Haus im Drahtschmidli und im Polyfoyer und geben demnächst eine E.P. (Single mit vier Titeln) im Mono-Sound heraus. Das passt zur flächigen, monotonen, eisklaren Techno-Musik der Hertz, die die sonderbarste Message in der Zürcher Szene vermitteln.

Sie machen nicht die Rock'Roll-Show, stehen steif im weissen Rampenlicht. Sie tragen karierte Pullover, keine heissen Hosen. Sie suchen nicht den Kontakt zum Publikum, schauen über dessen Köpfe. Wie aus Robotern kommen die Silben aus ihren Mundwerken, reinstes Computer-Deutsch:
«Da-ta, da-ta, da-ta, da-ta ... » Dazwischen eine zweite Gewehrsalve: «Da-ta, da-ta, da-ta. . . .» Damit kommt die Hertz-Maschine in Schwung, hoch oben flattert die Orgel, schrillt die Gitarre, tief unten treibt der Bass. Da fühlt man sich nicht wohl wie in einem Fenjal-Bad, überall Kräfte, die hin- und herreissen, den Boden unter den Füssen wegziehen. Nur der melodiöse, knappe Gesang der Hertz schlägt Mitteltöne an, verdeutlicht, was mit den Instrumenten fabriziert wird:
«Das Schicksal schlägt dich hin und her / heute bist du dieser / morgen der / du bist hier irgendwer im Kräftefeld / im Kräftefeld / der Sternenwelt.» «Grün vor Neid». Hertz machen auch Kopfstände, lechzen im kalten Krankenhauszimmer, an eine Flasche angeschlossen, nach Liebe, dass jeden friert vor Kälte. In der Stadt ohne Herz - die Band ohne Herz - die Hertz.

Die blaue Blume der Roboter

Hertz wollen keine Satisfaction mehr, wie sie einst ein Mick Jagger verbreitete. Für sie sind die glücklichen sechziger Jahre endgültig passé. Und auch der Protest der 68er Generation liegt ihnen fern. Die Hertz kaltschnäuzig: «Wir reissen uns keine sozialpolitischen Alltagsprobleme unter die Nägel! Wir versuchen, die Zeit auf einer Ebene zu erfassen.» Zu Höherem schaut das intellektuelle Herz empor, sucht in dieser Plastik- und Betonwelt nach einer neuen Religion. Hertz sehnsüchtig: «Wir wollen die Magie und den Mythos unserer Zeit wiederfinden.» Kompromisslos treten sie diese Suche an, konzentrieren sich auf winzige Details, ob sie nun griechische Sagengestalten, ägyptische und afrikanische Götter oder das Licht der Nacht, die Sternenwelt, beschwören. Sie meditieren mit elektrischen Instrumenten, schaffen künstlich eine Stimmung, die an einen Kult, eine Messe erinnert. Die Romantik von morgen - oder die letzte Prozession vor unserem Niedergang?

Bild, Text und Musik der Hertz ergeben ein Ganzes, das ein Unikum in der Zürcher Musikszene ist, zur Auseinandersetzung reizt. Hertz sind kühne Avantgardisten. Ihren ersten Auftritt hatten sie 1977 an einem Fest der Roten Steine. Am Pfingstwochenende wollen sie nun im Freien auf der Allmend auftreten, vor den Freaks also, die am Stadtrand Romantik suchen. Die Hertz in ihrem «Grünzone»-Song:
«Wir zünden uns ein Feuer an
von ferne tönt
die Autobahn / Autobahn
unserer Stadt.»

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